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Ich
arbeite seit nunmehr bald einem Jahr im Rahmen seines Heimaufenthaltes mit
Niklas H. Die Therapie war mit der Fremdunterbringung angesetzt worden, da
die Problematik nicht eigentlich in der Familie, sondern vielmehr in
seinem Verhalten begründet war.
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Am
schwerwiegendsten erscheint mir dabei die Impulskontrollstörung, die
zuhause nicht länger bewältigt werden konnte. Er war ja psychiatrisch
untersucht worden. In der Klinikambulanz hatte man der Mutter geraten, ihn
ins Heim zu geben, da zuhause die Situation außer Kontrolle geraten könnte.
Dann wäre aber zwangsläufig eine stationäre Aufnahme in die Psychiatrie
angestanden, während wir hier im Heim doch besser auf solche Kinder
eingerichtet sind.
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Verständlicherweise
hat dieser Gedanke die Mutter sehr erschreckt. Mit der Fremdunterbringung
hat sie sich dennoch nicht leicht abgefunden. Unter diesen Voraussetzungen
ist die Zusammenarbeit mit den Eltern allerdings sehr gut. Bei Niklas
selbst zeigen sich zwar Veränderungen, doch scheinen die im wesentlichen
auf den Therapierahmen beschränkt. Von der Heimgruppe bekomme ich leider
keine guten Rückmeldungen. Die Ansichten über Niklas sind sehr
gespalten, das gerade gibt mir zu denken. Ich bin deshalb unschlüssig, in
welche Richtung ich arbeiten soll. |
Verständlicherweise
kommt der weitaus größte Teil
der Jugendlichen trotz massiven Schwierigkeiten
nicht mit der Motivation in unsere Einrichtung,
eine psychotherapeutische Behandlung einzugehen.
Bis auf wenige Ausnahmen können wir dennoch
auf eine Therapieauflage verzichten, da
erfahrungsgemäß die Motivation im Lauf der Zeit
durch das Beispiel anderer in ausreichendem Maße wächst.
Vorstand
des HPKJ e.V.
Das Jugendhaus Adalbertstraße - das
pädagogisch-therapeutische Konzept
in: Jetzt ist es genug!
HPKJ Eigenverlag (1995) S.40 |
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Den
Rückgriff auf seine Erfahrungen habe ich zwischenzeitlich sehr zwiespältig
erlebt. Auf der einen Seite erklären viele seiner Erinnerungen die Angst
vor Zurückweisung und die Selbststigmatisierung, bevor andere es tun können.
Auf der anderen Seite kann seine Umwelt nicht allein als Ursache für
seine Schwierigkeiten angesehen werden. In die Beziehungsmuster und
Interaktionen brachte er durchaus sehr problematische Anlagen mit: Unruhe,
extreme Erregbarkeit, leichte depressive und autistoide Tendenzen. Nur in
der Situation zu arbeiten ist demgegenüber nicht weniger schwierig, denn
ein verhaltenstherapeutisches Programm macht nur Sinn, wenn eine
Kommunikationsgrundlage besteht. |
Ich
habe daher fast ein Jahr nur um ein rudimentäres Vertrauen gekämpft, das
es Niklas erlaubt, etwas anzunehmen, ohne die Situation oder die Sache
selbst gegen mich auszutesten. Jetzt können wir uns eine Stunde recht gut
amüsieren miteinander, doch die Sicherheit und Entlastung der
Therapiesituation kann er offensichtlich nicht in die Gruppe mitnehmen.
Ich bin durch ihn fast in ein Spannungsverhältnis mit den Erziehern
geraten, da er genau die Maßnahmen bei ihnen ablehnt, die sich bei mir
als am wirksamsten erwiesen haben. Das ist eine etwas unglückliche
Konstellation, denn mein Beratungsauftrag für die Gruppen bezieht sich ja
gerade auf schwierige Situationen und Kinder. Aus diesem Grund habe ich
auch die Supervision in dieser Gruppe vollkommen abgegeben, was der
Heimleitung aus organisatorischer und wirtschaftlicher Sicht nicht
besonders gefiel. |
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Niklas
ist sicher nicht der klassische Fall einer Heimunterbringung, da leben äußerlich
betrachtet schwierigere Kinder in problematischeren Familien. Aber sehen
Sie, die Zeiten und damit die Konditionen und Anforderungen ändern sich.
Grobe Zeiten bringen grobe Verletzungen mit sich, extreme Vernachlässigung,
extreme Gewalt. Wir leben in einer Gesellschaft der subtilen Schmerzen.
Was immer Kinder werden läßt wie Niklas: das Leid ist gleichgeblieben,
in aller Unsicherheit und Ambivalenz für den einzelnen vielleicht sogar
noch größer geworden! |
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